Rezension - Sounds of the Universe

von Daniel K. (2009)

“Houston…bitte kommen! Houston, hier spricht Fletch vom Raumschiff „Ultra“. Wir sind zurück von unserer zweijährigen Rundreise durchs All, während der wir da draussen die seltsamsten Sounds gesammelt haben. Wir landen in ca. zwölf Stunden. Houston?“ War das eine Erlösung, als sich unsere drei Universonauten letzten Herbst endlich zurückmeldeten. Anfang Oktober wurden wir bei der Pressekonferenz in Berlin von ersten akustischen Resultaten überrumpelt. Ab Ende Februar überschlagen sich die Ereignisse: Der US-Radiosender KROQ spielt die Single „Wrong“ zu früh. Tags darauf die triumphale Rückkehr von Dave, Martin und Andy ins Rampenlicht bei der ECHO-Show. Wenig später taucht plötzlich der überraschend gruselige Videoclip im Internet auf, ebenfalls verfrüht. Und schliesslich landet da auch das ganze „Universum“, trotz höchster Sicherheitsvorkehrungen…

 

Seit dem 17. April kann sich nun endgültig jedermann das Neueste von Depeche Mode anhören. Wer diese Möglichkeit schon hatte, wird sein Augenmerk mehr auf die erstmals in bestmöglicher Soundqualität hörbaren Details, die vielen Bonustracks, die DVD-Dokumentationen oder die dem Boxset beiliegenden Bücher legen. Die üppig ausgestattete „Sounds Of The Universe“ Deluxe-Box dürfte jeden Fan mehr als zufrieden stellen.

 

Wie ist sie denn nun geworden, die neue Platte? Die in regelmässigen Abständen ins Internet gestellten Kurzfilmchen haben einen eingeschränkten, dafür umso amüsanteren Einblick in den Entstehungsprozess gegeben. Es sind schliesslich ganze elf neue Stücke geworden, dazu die Single „Wrong“ und ein charmantes rein instrumentales Intermezzo. Nicht zu vergessen die fünf weiteren auf einer zusätzlichen CD zu findenden Stücke, inklusive „Oh Well“ (B-Seite von „Wrong“). Nicht alles auf „Sounds Of The Universe“ zündet sofort. Man braucht teilweise etwas Geduld, bis man die neue Ladung, prall gefüllt mit elektronischen Feinheiten, absolut hörenswerten Sounds und Rhythmus-Varianten, vollständig erfasst hat. Beginnen wir mit dem leichter zugänglichen Material.

 

Das aufmüpfige “Wrong“ kennt man ja zur Genüge. Seltsam, dass gerade diese Single, in der und mit der vieles „falsch“ läuft, so positiv aufgenommen wurde wie lange keine mehr. Die beste DM-Single seit sechzehn Jahren („Walking In My Shoes“)? „Wrong“ ist nicht unbedingt repräsentativ für den Rest des Albums. Höchstens in dem Sinne, dass Depeche Mode durchgehend so erfrischend elektronisch klingen wie letztmals vor rund 20 Jahren. Auf „Perfect“ und „In Sympathy“ vertrauen sie auf ihre Qualitäten als Songwriter, ohne grosse Experimente. Beide lassen meine Erinnerungen an das ultrapolierte „Precious“ von „Playing The Angel“ (2005) aufflammen. Allerdings ist „In Sympathy“ rauer und verliert sich etwas zwischen all den herausragenden Songs. Dafür trifft „Perfect“ voll ins Schwarze. Trotz recht simpler Melodie haben DM mit diesem Glücklichmacher aus „einem anderen einsamen Universum“ einen weiteren zukünftigen Klassiker geschaffen. Und der ganze Rest? Die Wahrheit ist… Meilen entfernt.

 

„The Truth Is/Miles Away“ ist genau eines dieser schrägen Dinger. Ein einsamer Reiter unter brennender Sonne. Leicht beschwipst hält er sich mit Mühe im Sattel, sein Pferd hat wohl mitgefeiert. Eine Mücke summt jammernd, die Begleitband spielt ihre ungestimmten Instrumente. Oder leidet der Player an Gleichlaufschwankungen? Doch wenden wir uns erst mal dem Anfang zu. Für „Sounds Of The Universe“ gilt, wie schon für „Playing The Angel“ und „Exciter“, das Sprichwort „Aller Anfang ist schwer“. Denn das ruhig aufbauende „In Chains“ mit einem Start wie „Dead Of Night - Teil zwei“ und der nervös hüpfende Space-Elektro-Funk von „Hole To Feed“ erleichtern den Einstieg ins Depeche-Universum 2009 nicht! Beides wirklich nicht übel, aber…

 

Es kommt jedenfalls nur noch besser: „Fragile Tension“ wechselt von unbeschwerter filigraner Elektronik zu Martins Wummergitarre. Davids Gesang setzt nicht im richtigen Takt ein? Doch, alles geht mit rechten Dingen zu, wie bei einem dieser raffinierten Täuschungs-Bilder (M.C. Eschers „Endlose Treppe“). „Little Soul“ ist eine graziöse und witzige Ballade. Was ein gut platziertes elektronisches Räuspern nicht alles bewirken kann! „Peace“ ist irgendwie niedlich, trotz „ohrgasmischen“ Drum-Explosionen zwischendurch, und hat das Potential, zur Friedenshymne, zum „All You Need Is Love“ der drei Basildoner zu werden. Dann sitzen alle - wie bei den Beatles - kreisförmig um die Band, mit langen Haaren und farbigen Klamotten, und klatschen ausgelassen mit. Schimmert da nicht auch John Lennons „Across The Universe“ durch? „Universe“? Passt doch!

 

Bei der mit Bohrmaschinen-Gebrumme unterlegten Sound-Orgie „Come Back“, für die ausserdem wohl unzählige Ton-Effekte aus dem SciFi-Filmarchiv verwendet wurden, drängt sich wieder ein Bild aus den psychedelischen frühen 70er-Jahren auf: Wie bei einem Hypnose-Rad (oder im Windows Media Player Warp-Modus) graben sich Musik und Daves Beschwörungen („come back, come back to me“) ins Bewusstsein, bis man widerstandslos zu Dave zurückkehrt. „Spacewalker“ ist eines dieser Intermezzi, wo sogar ich mal verstehen darf, warum es überhaupt existiert. Den unvermeidlichen Abschluss bilden das von Martin gesungene „Jezebel“, ein in flunkernde Reverb-Echos verpackter Schmachtfetzen, und „Corrupt“. Ein wahrhaft dreckiges und ungewöhnlich bissiges Schlusslied für eine DM-Platte. „Personal Jesus“ 20 Jahre später. Nicht verpassen: Nach vierminütiger Weltraum-Stille gibt es noch eine scheue Reprise.

 

Obwohl der inzwischen „trockengelegte“ Martin sich für „Sounds Of The Universe“ Unmengen alter Synthesizer ersteigert hat, ist bei Depeche Mode wie gewohnt weder eine Stagnation noch ein Rückschritt erkennbar. Wie bei „Playing The Angel“ hat Ben Hillier das Trio gekonnt durch den Dschungel von Möglichkeiten geführt. Fürs Artwork, ein Grossteil der Fotos und für die Bühnendeko ist wieder der gute Anton Corbijn zuständig. Last but not least: Dieses wirklich eindrückliche Gesamtwerk ist - wie bereits Daves „Hourglass“ - unter Mitarbeit des in New York lebenden Schweizers Kurt Uenala alias Kap10Kurt zustande gekommen. Hey, Kurt! Es „grüezi“ i d’USA. D’„Töön usem Universum“ sind würklich es Meischterwerk worde!  www.myspace.com/kap10kurt

 

Alles in allem ist „Sounds Of The Universe“ kein leicht konsumierbares Album. Das dürfte aber für die meisten Depeche Mode-Hörer kein Hindernis sein, wenn man sich das industrielle „Some Great Reward“, die düsteren „Black Celebration“ und „Music For The Masses“, das vom Gospel beeinflusste „Songs Of Faith And Devotion“ oder das chillige „Exciter“ in Erinnerung ruft. Noch nie haben Depeche Mode aus einer solchen Anzahl von Liedern auswählen können. Wenn ich was zu sagen gehabt hätte… Ich hätte von Anfang an auf ein Doppelalbum hingearbeitet (gerade haben Duran Duran ein solches angekündigt). Egal: Doppelt oder nicht, „Sounds Of The Universe“ ist ein weiterer Meilenstein auf Daves, Martins und Andys Weg in die Hallen des Pophimmels. Bei dieser Spiellaune und den bereits geäusserten Absichten wird es kaum der letzte sein. „Songs in the key of space: A big present for the human race!“